Blind Spot Marketing
September 2019
Am Digital Festival hielten Harald Taglinger (taglinger.ch), Milko van Rijn (Mettler-Toledo, General Manager) und Urs Bucher (Netcentric, New Business Director) in Zusammenarbeit mit Digital Shift ein Lab zum Thema Blind Spot Marketing.
Wir kennen den Effekt, wenn wir online ein Formular ausfüllen, um ein Dokument herunterladen. Durch den Download sind wir in einer Marketing Datenbank markiert. Und das hat zur Folge, dass wir konstante Kaufaufforderungen erhalten – auch wenn wir nie die Absicht hatten, etwas zu kaufen.
Im digitalen Marketing dreht sich alles um den Sales Funnel. Dieser Funnel ist in mehreren Stufen angelegt: Wahrnehmung – Interesse – Consideration – Absicht – Evaluation – Kauf. Die Theorie ist, dass man den Kunden möglichst zügig von einer Stufe in die nächste bringen sollte, denn durch die Erhöhung der Geschwindigkeit maximiert man den Verkauf. Das heisst, die Lead Generation Aktivität konzentriert sich nur auf die Personen, die sie eine Stufe weiter bringen kann. Am Ende des Funnels sind es dann vielleicht 5% Personen, die man wirklich bis zum Schluss erreicht hat. Das heisst, man verliert 95% der möglichen Kunden.
Sind 5% Reichweite wirklich eine Maximierung des Verkaufspotentials? Und werden die 95% wirklich nie das Produkt kaufen? Es ist wohl eher so, dass die Stringenz des Funnels nicht mit den sehr unterschiedlichen Motivationen der Leute übereinstimmt. Eine Gruppe braucht lange, um sich zu entscheiden, eine zweite Gruppe informiert sich, hat aber nicht die finanziellen Mittel, und die dritte Gruppe hat kein Interesse etc. Wenn Marketing jeden, der in die Nähe kommt, gleich durch den Funnel drückt, dann kann sich das anfühlen, als werde man wie eine Gans gestopft. Dieser unliebsame Umgang mit denen, die nicht in den Prozess passen, beschädigt die langfristige Kundenbeziehung.
Wenn jemand aufgrund einer PR Kampagne sich auf der Website sich informiert, ist der nächste Schritt nicht zwingend, ihm eine E-Mail mit einer Kaufaufforderung zu schicken. Eine unaufgeforderte E-Mail hat eine maximale Öffnungsrate von 15%. Und das ist schon eine hohe Rate.
Anstelle des Sales Funnels ist ein Sales Aquarium vielleicht eine bessere Beschreibung des adäquateren Vorgehens. Weil wir nur sehr selten die genauen Motivationen der potenziellen Kunden voraussehen können, ist es ratsamer diese von einer Stufe zur nächsten schwimmen zu lassen. Das heisst wir benutzen Push und Pull Massnahmen auf allen Stufen, aber ohne vorgegebenes Timing. Wir ermöglichen es, den Interessenten aus dem Prozess auszusteigen, sodass wir die langfristige Beziehung nicht beschädigen.
So wird nach der PR-Kompanie und dem Besuch der Website eine Nurturing-Mail. Ihr Inhalt bekundet transparent: “Wir haben gesehen, dass Du Dich zu Produkt XY informiert hast. Wenn Du mehr erfahren möchtest, findest Du hier ein Webinar. Wenn Du keine weiteren Informationen wünschst, klicke hier.” So kann jemand, der keine weiteren Interaktionen wünscht, für einige Monate in Ruhe gelassen.
Beim Sales Aquarium wird sehr wohl ein Pfad von einer Stufe zu nächsten gelegt. Aber die Interessenten können in ihrer Geschwindigkeit und Motivationen von einer Stufe zur nächsten oder sogar zurück schwimmen. Unterschiedliche Technologien unterstützen die Orchestrierung der unterschiedlichen Bewegungsbahnen.
In Zukunft kann sich der Technologie-Stack stark verändern. Ad Blocking, ‘Incognito’ Browsing, Cookies Blocking und Datenschutzbestimmungen werden algorithmenbasiertes Marketing verändern. Gartner schätzt, dass in 10 Jahren 30% der Kunden fürs Marketing unsichtbar sein könnten. In dieser Zeit werden andere Marketingtools von Google etc. entwickelt. Google Chrome zum Beispiel hat jetzt schon einen Ad Blocker implementiert, der jedoch eigene Ads durchlässt.
Im digital Marketing geht es schlussendlich darum, nach dem Erzeugen von Aufmerksamkeit, die Interessenten ausfindig zu machen, die wirklich zu einem Kauf bereit sind, und sie zu begleiten, nicht zu bedrängen. Bei diesem Prozess müssen wir uns bewusst sein, dass die Daten nie 100% eindeutig sind. Eine falsche Interpretation der Daten kann zum Beispiel einen bestehenden Kunden verärgern. So müssen die positiven wie auch negativen Signale gesammelt und sorgfältig interpretiert werden.
Die Realität ist immer komplexer als jeder Plan. Darum kann die starre Logik des Sales Funnel unvorhergesehenen Schaden anrichten. So ist es sinnvoller, flexible Systeme zu bauen, welche die unterschiedlichen Motivationen und Geschwindigkeiten der Interessenten erlauben.
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